Die 'Stalinallee' in Ost-Berlin (heute: Karl-Marx-Allee)
Binnen weniger Jahre entstand ab 1952 in Ost-Berlin unter hohem Aufwand die Stalinallee, der ‚letzte große europäische Boulevard, der gebaut wurde‘ (Aldo Rossi), benannt nach dem Sowjet-Diktator Joseph Stalin (heute: Karl-Marx-Allee).
Geprägt ist ihr 'sozialistischer Stil' durch eine breite Magistrale (breiter als die Champs-Élysées), gesäumt von luxuriös verzierten, palastartigen Gebäuden mit Säulen, Säulenhallen und Turmaufbauten. Politische Inschriften an den Fassaden der ‚Arbeiterpaläste‘ glorifizieren den Sozialismus. Damit grenzte sich das SED-Regime scharf von der im Westen dominierenden ‚Nachkriegsmoderne‘ (im West-Berliner Hansaviertel) ab.
Architektur diente in der DDR unmittelbar dem Aufbau der ‚neuen sozialistischen Gesellschaft‘. Wie allerdings 'sozialistische Architektur' auszusehen hatte, konnte nie geklärt werden. Und so blieben die 'Arbeiterpaläste' der Stalinallee ein Unikat: Nie wieder wurde in diesem Stil in Ost-Berlin gebaut. Im Gegenteil: Nach dem Tod Stalins 1953 erfolgt zunächst in der UdSSR - und zeitversetzt auch in der DDR - ein 180-Grad-Schwenk. Unter dem Primat 'billiger, schneller, einfacher' wurde nun 'modern' gebaut. Es entstanden Plattenbausiedlungen überall in der DDR - so auch in Ost-Berlin.
Aber hier, in der 'Hauptstadt der DDR', sollte auch repräsentativ gebaut werden. Und so entwarfen die führenden Architekten der DDR in der nunmehr in Karl-Marx-Allee umbenannten Straße kurioserweise in direkter Nachbarschaft zu den Stalin-Bauten einige architektonisch hochwertige Bauwerke in der Formensprache der zuvor verteufelten 'Moderne': Die Kinos 'Kosmos' und 'International' sowie das 'Cafe Moskau' gelten heute als herausragende Beispiele der sogenannten 'DDR-Moderne'.
Nach den Vorstellungen Stalins war die ‚Moderne‘ westlicher Prägung ungeeignet, die kommunistische Zukunft architektonisch in Szene zu setzen. Die Baukunst sollte stattdessen ihrem ‚Inhalt nach sozialistisch' und ihrer ‚Form nach national' sein, wofür das ‚historische Erbe' und die ‚deutsche Architektur', namentlich die Karl Friedrich Schinkels, des klassizistischen preußischen Baumeisters Berlins, als Bezugspunkt gewählt wurden. Ein merkwürdiger Widerspruch, war doch gerade das Berliner Schloss als Zeichen allen ‚preußischen‘ von der DDR-Führung weggesprengt worden..
Dieser als ‚Sozialistischer Klassizismus‘ bezeichnete Baustil ist Teil des ‚Sozialistischen Realismus‘, der ab Anfang der 1930er Jahre der vorgegebene Kunststil in der UdSSR war. Wobei ‚Realismus‘ nicht die tatsächliche Realität meint, sondern eine angeblich ‚gesetzmäßig eintretende‘ zukünftige kommunistische Realität. Letztlich handelt es sich bei der 'Stalinallee' also um die Imagination einer untergegangenen Utopie.